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Das achte Kapitel - Der Schneemann Kasimir



 

Als die beiden miteinander durch die Halle gingen, war die Empörung groß. Das Publikum fand sich brüskiert. Wie konnte der geheimnisvolle Millionär mit dem einzigen armen Teufel, den das Hotel zu bieten hatte, gemeinsame Sache machen! So realistisch brauchte er seine Rolle wirklich nicht zu spielen!

»Einfach tierisch!« sagte Karl der Kühne, der beim Portier stand. »Dieser Schulze! Das ist das Letzte!«

»Die Casparius und die Mallebré machen schon Jagd auf den Kleinen«, erzählte Onkel Poker. »Er könnte es haben wie in Abrahams Schoß!«

»Der Vergleich stimmt nur teilweise«, meinte der Direktor. (Er neigte gelegentlich zur Pedanterie.)

»Ich sehe schon«, sagte der Portier, »ich werde für Herrn Schulze eine kleine Nebenbeschäftigung erfinden müssen. Sonst geht er dem Millionär nicht von der Seite.«

»Vielleicht reist er bald wieder ab«, bemerkte Herr Kühne. »Die Dachkammer, die wir ihm ausgesucht haben, wird ihm auf die Dauer kaum zusagen. Dort oben hat es noch kein Stubenmädchen und kein Hausdiener ausgehalten.«

Onkel Polter kannte die Menschen besser. Er schüttelte das Haupt.

»Sie irren sich. Schulze bleibt. Schulze ist ein Dickkopf.«

Der Hoteldirektor folgte den beiden seltsamen Gästen in die Bar.

Die Kapelle spielte. Etliche elegante Paare tanzten. Sullivan, der Kolonialoffizier, trank den Whisky aus alter Gewohnheit pur und war bereits hinüber. Er hing auf seinem Barhocker, stierte vor sich hin und schien Bruckbeuren mit einer nordindischen Militärstation zu verwechseln.

»Darf ich vorstellen?« fragte Hagedorn. Und dann machte er Geheimrat Tobler und Johann, dessen Diener, miteinander bekannt.

Man nahm Platz. Herr Kesselhuth bestellte eine Runde Kognak.

Schulze lehnte sich bequem zurück, betrachtete, gerührt und spöttisch zugleich, das altvertraute Gesicht und sagte:

»Doktor Hagedorn erzählte mir eben, daß Sie den Geheimrat Tobler kennen.«

Herr Kesselhuth war nicht mehr ganz nüchtern. Er hatte nicht des Alkohols wegen getrunken. Aber er war ein gewissenhafter Mensch und hatte nicht vergessen, daß er täglich mindestens hundert Mark ausgeben mußte.

»Ich kenne den Geheimrat sogar ausgezeichnet«, erklärte er und blinzelte vergnügt zu Schulze hinüber.

»Wir sind fast dauernd zusammen!«

»Sie sind vermutlich Geschäftsfreunde?« fragte Schulze.

»Vermutlich?« sagte Kesselhuth großartig. »Erlauben Sie mal! Mir gehört eine gutgehende Schiffahrtslinie! Wir sitzen zusammen im Aufsichtsrat. Direkt nebeneinander!«

»Donnerwetter!« rief Schulze. »Welche Linie ist das denn?«

»Darüber möchte ich nicht sprechen«, sagte Kesselhuth vornehm. »Aber es ist nicht die kleinste, mein Herr!«

Sie tranken. Hagedorn setzte sein Glas nieder, zog die Oberlippe hoch und meinte:

»Ich verstehe nichts von Schnaps. Aber der Kognak schmeckt, wenn ich nicht irre, nach Seife.«

»Das muß er tun«, erklärte Schulze. »Sonst taugt er nichts.«

»Wir können ja auch etwas anderes trinken«, sagte Kesselhuth. »Herr Ober, was schmeckt bei Ihnen nicht nach Seife?«

Es war aber gar nicht der Kellner, der an den Tisch getreten war, sondern der Hoteldirektor. Er fragte den jungen Mann, ob ihm die Zimmer gefielen.

»Doch, doch«, sagte Hagedorn, »ich bin soweit ganz zufrieden.«

Herr Kühne behauptete, daß er sich glücklich schätze. Dann winkte er; und Jonny und ein Kellner brachten einen Eiskübel mit einer Flasche Champagner und zwei Gläser.

»Ein kleiner Begrüßungsschluck«, sagte der Hoteldirektor lächelnd.

»Und ich kriege kein Glas?« fragte Schulze unschuldsvoll.

Kühne lief rot an. Der Kellner brachte ein drittes Glas und goß ein. Der Versuch, Schulze zu ignorieren, war mißlungen.

»Auf Ihr Wohl!« rief dieser fidel.

Der Direktor verschwand, um dem Portier sein jüngstes Leid zu klagen.

Schulze stand auf, schlug ans Glas und hob es hoch. Die anderen Gäste blickten unfreundlich zu ihm hin.

»Trinken wir darauf«, sagte er, »daß Herr Kesselhuth für meinen jungen Freund beim ollen Tobler etwas erreichen möge!«

Johann kicherte vor sich hin.

»Mach ich, mach ich!« murmelte er und trank sein Glas leer.

Hagedorn sagte: »Lieber Schulze, wir kennen uns noch nicht lange. Aber vielleicht sollten wir in diesem Augenblick fragen, ob Herr Kesselhuth auch für Sie etwas unternehmen kann?«

»Keine schlechte Idee«, meinte Schulze.

Johann Kesselhuth sagte amüsiert:

»Ich werde Geheimrat Tobler nahelegen, auch Herrn Schulze anzustellen. Was sind Sie denn von Beruf?«

»Auch Werbefachmann«, antwortete Schulze.

»Schön war's, wenn wir in derselben Abteilung arbeiten könnten«, meinte Hagedorn. »Wir verstehen uns nämlich sehr gut, Schulze und ich. Wir würden den Toblerkonzern propagandistisch gründlich aufmöbeln. Er kann's gebrauchen. Was ich da in der letzten Zeit an Reklame gesehen habe, war zum Heulen.«

»So?« fragte Schulze.

»Grauenhaft dilettantisch«, erklärte der junge Mann. »Bei dem Reklameetat, den so ein Konzern hat, kann man ganz anders loslegen. Wir werden dem Tobler zeigen, was für knusprige Kerle wir sind! Ist er übrigens ein netter Mensch?«

»Ach ja«, sagte Johann Kesselhuth. »Mir gefällt er. Aber das ist natürlich Geschmackssache.«

»Wir werden ja sehen«, meinte Hagedorn. »Trinken wir auf ihn! Der olle Tobler soll leben!«

Sie stießen an.

»Das soll er«, sagte Kesselhuth und blickte Herrn Schulze liebevoll in die Augen.

Nachdem die von Karl dem Kühnen gestiftete Flasche leergetrunken war, bestellte der Schiffahrteibesitzer Kesselhuth eine weitere Flasche. Sie wunderten sich, daß sie, trotz der langen Reise, noch immer nicht müde waren. Sie schoben es auf die Höhenluft. Dann kletterten sie ins Bräustübl hinunter, aßen Weißwürste und tranken Münchner Bier.

Aber sie blieben nur kurze Zeit. Denn die rassige Dame aus Polen, die abends eingetroffen war, saß mit Mister Bryan in einer schummrigen Ecke, und Hagedorn sagte:

»Ich fürchte, wir sind der internationalen Verständigung im Wege.«

Die Bar war, als sie zurückkamen, noch voller als vorher, Frau von Mallebré und Baron Keller saßen an der Theke, tranken Cocktails und knabberten Kaffeebohnen. Frau Casparius und der dicke Herr Lenz waren aus dem Esplanade zurück und knobelten.

Eine stattliche Schar rotwangiger Holländer lärmte an einem großen runden Tisch. Und das sächsische Ehepaar mokierte sich über die phonetische Impertinenz der holländischen Sprache.

Später verdrängte einer der Holländer den Klavierspieler. Sofort erhoben sich seine temperamentvollen Landsleute und veranstalteten, ungeachtet ihrer Smokings und mondänen Abendkleider, echt holländische Volkstänze.

Sullivan rutschte von seinem Barhocker und nahm, da sich Fräulein Marek sträubte, als Solist und gefährlich taumelnd, an dem ländlichen Treiben teil.

Das währte rund zwanzig Minuten. Dann eroberte der Klavierspieler seinen angestammten Drehsessel zurück.

»Nun tanzen Sie schon endlich mit einer ihrer Verehrerinnen!« sagte Schulze zu Hagedorn.

»Es ist ja kaum noch zum Aushalten, wie sich die Weiber die Augen verrenken!«

Der junge Mann schüttelte den Kopf.

»Man meint ja gar nicht mich, sondern den Thronfolger von Albanien.«

»Wenn's weiter nichts ist!« erwiderte Schulze. »Das würde mich wenig stören. Der Effekt ist die Hauptsache.«

Hagedorn wandte sich an Kesselhuth. »Man hält mich hier im Hotel unbegreiflicherweise für den Enkel von Rockefeller oder für einen verkleideten Königssohn. Dabei bin ich keines von beiden.«

»Unglaublich!« sagte Herr Kesselhuth. Er bemühte sich, ein überraschtes Gesicht zu ziehen. »Was es so alles gibt!«

»Das bleibt aber, bitte, unter uns!« bat Hagedorn. »Ich hätte das Mißverständnis gerne richtiggestellt. Aber Schulze hat mir abgeraten.«

»Herr Schulze hat recht«, sagte Kesselhuth. »Ohne Spaß gibt's nichts zu lachen!«

Plötzlich spielte die Kapelle einen Tusch. Herr Heltai, Professor der Tanzkunst und Arrangeur von Kostümfesten, trat aufs Parkett, klatschte in die Hände und rief:

»Damenwahl, meine Herrschaften!«

Er wiederholte die Ankündigung noch in englischer und französischer Sprache. Die Gäste lachten. Mehrere Damen erhoben sich. Auch Frau Casparius. Sie steuerte auf Hagedorn los. Frau von Mallebré wurde blaß und engagierte, verzerrt lächelnd, den Baron.

»Nun aber ran an den Speck!« befahl Schulze.

Frau Casparius machte einen übertriebenen Knicks und sagte:

»Sie sehen, Herr Doktor, mir entgeht man nicht.«

»Da werden Weiber zu Hyänen!« deklamierte Schulze, der sich auskannte.

Doch die Bremerin und Hagedorn waren schon außer Hörweite. Der Tanz begann.

Schulze beugte sich vor.

»Ich gehe in die Halle«, flüsterte er. »Folgen Sie mir unauffällig! Bringen Sie aber 'ne anständige Zigarre mit!«

Dann verließ er die Bar.

Geheimrat Tobler saß nun also mit seinem Diener Johann in der Halle. Die meisten Tische waren leer. Kesselhuth klappte sein Zigarrenetui auf und fragte:

»Darf ich Sie zu einem Kognak einladen?«

»Fragen Sie nicht so blöd!« meinte Tobler.

Der andere bestellte. Die Herren rauchten und blickten einander belustigt an. Der Kellner brachte die Kognaks.

»Nun haben wir uns also doch kennengelernt«, sagte Johann befriedigt. »Noch dazu am ersten Abend! Wie habe ich das gemacht?«

Tobler runzelte die Stirn. »Sie sind ein Intrigant, mein Lieber. Eigentlich sollte ich Sie entlassen.«

Johann lächelte geschmeichelt. Dann sagte er:

»Ich kriegte ja, als ich ankam, einen solchen Schreck! Der Hoteldirektor und der Portier krochen doch dem Doktor Hagedorn in sämtliche Poren! Am liebsten wäre ich Ihnen entgegengelaufen, um Sie zu warnen.«

»Ich werde meiner Tochter die Ohren abschneiden«, erklärte Tobler. »Sie hat natürlich angerufen.«

»Fräulein Hildegards Ohren sind so niedlich«, meinte Johann. »Ich wette, die Kunkel hat telefoniert.«

»Wenn ich nicht so guter Laune wäre, würde ich mich ärgern«, gestand Tobler. »So eine Frechheit! Ein wahres Glück, daß dieses verrückte Mißverständnis dazwischenkam!«

»Hat man Ihnen ein nettes Zimmer gegeben?« fragte der Diener.

»Ein entzückendes Zimmer«, behauptete Tobler. »Sonnig, luftig. Sehr luftig sogar.«

Johann nahm dem Geheimrat ein paar Fusseln vom Anzug und bürstete mit der flachen Hand besorgt auf den violetten Jackettschultern herum.

»Lassen Sie das!« knurrte Tobler. »Sind Sie verrückt?«

»Nein«, meinte Johann. »Aber froh, daß ich neben Ihnen sitze.

Na ja, und ein klein bißchen besoffen bin ich natürlich auch. Ihr Anzug sieht zum Fürchten aus. Ich werde morgen auf Ihr Zimmer kommen und Ordnung machen. Welche Zimmernummer haben Sie, Herr Geheimrat?«

»Unterstehen Sie sich!« sagte Tobler streng. »Das fehlte gerade noch, daß man den Besitzer einer gutgehenden Schiffahrtslinie dabei erwischt, wie er bei mir Staub wischt. Haben Sie Bleistift und Papier bei sich? Sie müssen einen geschäftlichen Brief erledigen. Beeilen Sie sich! Ehe unser kleiner Millionär eintrifft. Wie gefällt er Ihnen?«

»Ein reizender Mensch«, sagte Johann. »Wir werden zu dritt noch sehr viel Spaß haben.«

»Lassen Sie uns arme Leute ungeschoren!« meinte der Geheimrat. »Widmen Sie sich gefälligst dem Wintersport und der vornehmen Gesellschaft!«

»Die Hoteldirektion glaubt, daß ich Doktor Hagedorn von Berlin aus kenne und es nur nicht zugeben will«, erzählte Johann. »Man wird also nichts dabei finden, wenn ich oft mit ihm zusammen bin. Im Gegenteil, ohne mich wäre er nie so schnell Millionär geworden!«

Er blickte an Tobler herunter. »Ihre Schuhe sind auch nicht geputzt!« sagte er. Man sah es ihm an, wie er darunter litt. »Es ist zum Verzweifeln!«

Der Geheimrat, dem die Zigarre außerordentlich schmeckte, meinte:

»Kümmern Sie sich lieber um Ihre Schiffahrtslinie!«

So oft die Kapelle eine Atempause machen wollte, klatschten die Tanzpaare wie besessen.

Frau Casparius sagte leise:

»Sie tanzen wirklich gut.« Ihre Hand lag auf Hagedorns Schulter und übte einen zärtlichen Druck aus. »Was tun Sie morgen? Fahren Sie Ski?«

Er verneinte. »Als kleiner Junge hatte ich Schneeschuhe. Jetzt ist mir die Sache zu teuer.«

»Wollen wir eine Schlittenpartie machen? Nach Sankt Veit?

Den Lunch nehmen wir mit.«

»Ich bin mit meinen beiden Bekannten verabredet.«

»Sagen Sie ab!« bat sie. »Wie können Sie überhaupt diesen Mann, der wie eine Vogelscheuche aussieht, meiner bezaubernden Gesellschaft vorziehen?«

»Ich bin auch so eine Vogelscheuche«, sagte er zornig. »Schulze und ich gehören zusammen!«

Sie lachte und zwinkerte eingeweiht.

»Freilich, Doktor. Ich vergesse das immer wieder. Aber Sie sollten trotzdem mit mir nach Sankt Veit fahren. Im Pferdeschlitten. Mit klingelnden Glöckchen. Und mit warmen Decken. So etwas kann sehr schön sein.« Sie schmiegte sich noch enger an ihn und fragte: »Mißfalle ich Ihnen denn so?«

»O nein«, sagte er. »Aber Sie haben so etwas erschreckend Plötzliches an sich.«

Sie rückte ein wenig von ihm ab und rümpfte die Lippen.

»So sind die Männer. Wenn man redet, wie einem zumute ist, werdet ihr fein wie ein Schock Stiftsdamen.« Sie sah ihm kerzengerade in die Augen. »Seien Sie doch nicht so zimperlich, zum Donnerwetter! Sind wir jung? Gefallen wir einander? Wie? Wozu das Theater! Hab ich recht oder stimmt's?«

Die Kapelle hörte zu spielen auf.

»Sie haben recht«, sagte er. »Aber wo sind meine Bekannten?«

Er begleitete sie an ihren Tisch, verbeugte sich vor ihr und vor dem dicken Herrn Lenz und entfernte sich eilends, um die Herren Schulze und Kesselhuth zu suchen.

»Stecken Sie die Notizen weg!« sagte Geheimrat Tobler zu seinem Diener. »Dort kommt unser kleiner Millionär.«

Hagedorn strahlte. Er setzte sich und ächzte.

»Das ist eine Frau!« meinte er benommen. »Die hätte Kavalleriegeneral werden müssen!«

»Dafür ist sie entschieden zu hübsch«, behauptete Schulze.

Hagedorn dachte nach.

»Na ja«, sagte er. »Aber man kann doch nicht mit jeder hübschen Frau etwas anfangen! Dafür gibt es schließlich viel zu viele hübsche Frauen!«

»Ich kann dem Doktor nur beipflichten«, meinte Herr Kesselhuth. »Ober! Drei Korn!« Und als der Kellner wieder da war — und der Korn auch — rief er: »Allerseits frohe Pfingsten!«

Sie kippten den farblosen Inhalt der drei Gläser. Dann fragte Hagedorn neugierig:

»Was tun wir jetzt? Es ist noch nicht einmal Mitternacht.«

Schulze drückte die Zigarre aus und sagte:

»Meine Herren, Silentium! Ich erlaube mir, eine Frage an Sie zu richten, die Sie verblüffen wird. Und die Frage lautet: Wozu sind wir nach Bruckbeuren gekommen? Etwa in der Absicht, uns zu betrinken?«

»Es scheint so«, bemerkte Kesselhuth und kicherte.

»Wer dagegen ist, bleibe sitzen!« sagte Schulze. »Zum ersten! Zum zweiten! Zum — dritten!«

»Einstimmig angenommen«, meinte Hagedorn.

Schulze fuhr fort: »Wir sind also nicht hierhergekommen, um zu trinken.«

Kesselhuth hob die Hand und sagte:

»Nicht nur, Herr Lehrer!«

»Und so fordere ich die Anwesenden auf«, erklärte Schulze, »sich von den Plätzen zu erheben und mir in die Natur zu folgen.«

Sie erhoben sich mühsam und gingen, leise schwankend, aus dem Hotel hinaus. Die klare, kalte Gebirgsluft verschlug ihnen den Atem. Sie standen verwundert im tiefen Schnee. Über ihnen wölbte sich die dunkelblaue, mit goldnen und grünen, silbernen und rötlichen Brillantsplittern übersäte Riesenkuppel des Sternhimmels.

Am Mond zog ein verlassenes weißes Wölkchen vorüber.

Sie schwiegen minutenlang. Aus dem Hotel klang ferne Tanzmusik. Herr Kesselhuth räusperte sich und sagte:

»Morgen wird's schön.«

Männer neigen, ergreifenden Eindrücken gegenüber, zur Verlegenheit. So kam es, daß Hagedorn erklärte:

»So, meine Herrschaften! Jetzt machen wir einen großen Schneemann!«

Und Schulze rief:

»Ein Hundsfott, wer sich weigert! Marsch, marsch!«

Anschließend setzte eine rege Tätigkeit ein. Baumaterial war ja genügend vorhanden.

Sie buken und kneteten eine Kugel, rollten sie kreuz und quer durch den Schnee, klatschten fanatisch auf ihr herum, deformierten sie ins Zylindrische, rollten den unaufhörlich wachsenden Block noch einige Male hin und her und stellten ihn schließlich, als er ausreichend imposant erschien, vor die kleinen Silbertannen, die gegenüber vom Hoteleingang, jenseits des Fahrweges, den Park flankierten.

Die drei Männer schwitzten. Aber sie waren unerbittlich und begannen nun den zweiten Teil des Schneemannes, seinen Rumpf, zu bilden. Der Schnee wurde knapp. Sie drangen in den Park vor. Die Tannenbäume stachen mit Nadeln nach den erhitzten Gesichtern.

Schließlich war auch der Rumpf fertig, und schwer atmend hoben sie ihn auf den Schneesockel hinauf. Es gelang ohne größere Zwischenfälle. Herr Kesselhuth fiel allerdings hin und sagte:

»Der teure Smoking!«

Aber es focht ihn nicht weiter an. Wenn erwachsene Männer etwas vorhaben, dann setzen sie es durch. Sogar im Smoking.

Schließlich kam auch ein Kopf zustande. Er wurde auf den Rumpf gepflanzt. Dann traten sie ehrfurchtsvoll einige Schritte zurück und bewunderten ihr Werk.

»Der Gute hat leider einen Eierkopf«, stellte Schulze fest.

»Das macht nichts«, sagte Hagedorn. »Wir nennen ihn ganz einfach Kasimir. Wer Kasimir heißt, kann sich das leisten.«

Es erhob sich kein Widerspruch.

Dann zückte Schulze sein Taschenmesser und wollte sich die Knöpfe vom violetten Anzug schneiden, um sie Kasimir in den Schneebauch zu drücken. Aber Herr Kesselhuth ließ es nicht zu und erklärte, das gehe keinesfalls.

Deshalb nahm Hagedorn Herrn Schulze das Messer weg, schnitt mehrere Tannenzweige ab und besetzte Kasimirs Brust damit, bis er wie ein Gardehusar aussah.

»Kriegt er keine Arme?« fragte Kesselhuth.

»O nein«, sagte Doktor Hagedorn. »Kasimir ist ein Torso!«

Dann verliehen sie ihm ein Gesicht. Als Nase verwandten sie eine Streichholzschachtel. Der Mund wurde von kurzen Zweigstücken dargestellt. Und als Augen benutzten sie Baumrinde.

Kesselhuth bemerkte kritisch:

»Kasimir braucht einen Tschako, damit man seine Glatze nicht sieht.«

»Sie sind ein grauenhafter Naturalist«, sagte Schulze empört. »Wenn Sie Bildhauer geworden wären, hätten Sie Ihren Plastiken Perücken aufgesetzt!«

»Ich besorge morgen früh aus der Küche einen Konfitüreneimer«, versprach Hagedorn. »Den setzen wir unserem Liebling verkehrt auf. Da kann er den Henkel gleich als Kinnkette benutzen.«

Der Vorschlag wurde gebilligt und angenommen.

»Kasimir ist ein schöner, stattlicher Mensch«, meinte Schulze hingerissen.

»Kunststück!« rief Kesselhuth. »Er hat ja auch drei Väter!«

»Zweifellos einer der beachtlichsten Schneemänner, die je gelebt haben«, sagte Hagedorn. »Das ist meine ehrliche Überzeugung.«

Dann riefen sie im Chor: »Gute Nacht, Kasimir!«

Und der Schneemann antwortete ganz laut: »Gute Nacht, meine Herren.«

Es war aber gar nicht der Schneemann, sondern ein Gast aus dem ersten Stock,
der wegen des Lärms vor dem Hotel nicht hatte einschlafen können.

Wütend knallte er das Fenster zu.

Und die drei Väter Kasimirs gingen auf den Zehenspitzen ins Haus.

Herr Schulze zog, als er schlafen ging, seinen Flauschmantel an. Er lächelte vergnügt zum Dachfenster empor und sagte:

»Der alte Tobler friert, aber er ergibt sich nicht!« Dann schlummerte er ein.

Auch Hagedorn schlief sehr bald. Anfangs störten ihn zwar die elegante Umgebung und der warme Ziegelstein. Doch er war, was den Schlaf anbelangt, eine Naturbegabung. Sie setzte sich auch in Bruckbeuren durch.

Nur Herr Kesselhuth wachte. Er saß in seinem Zimmer und erledigte Post. Nachdem der Geschäftsbrief fertig war, den ihm der Geheimrat zu schreiben aufgetragen hatte, begann er ein privates, außerordentlich geheimes Schreiben.

Und das lautete so:

»Liebes Fräulein Hildegard!

Wir sind gesund und munter angekommen. Sie hätten aber trotzdem nicht hintenrum mit dem Hotel telefonieren sollen. Der Herr Geheimrat will Ihnen die Ohren abschneiden. Es war ja auch ein Schreck! Man hat den andern Preisträger, Herrn Doktor Hagedorn, für den verkleideten Millionär gehalten. Ich kam gerade dazu. Und nun hat Hagedorn die Katzen im Zimmer. Nicht der Herr Geheimrat.

Wir haben uns angefreundet. Ich mich mit Hagedorn. Er sich mit Ihrem Vater. Und dadurch der Herr Geheimrat mit mir. Ich bin sehr froh. Vorhin haben wir zu dritt einen großen Schneemann gemacht. Er heißt Kasimir und hat einen Eierkopf. Und einen Torso.

Das Hotel ist sehr vornehm. Das Publikum auch. Der Herr Geheimrat sieht natürlich zum Fürchten aus. Von dem Schlips kann einem schlecht werden. Aber rausgeschmissen hat man ihn nicht. Morgen geh ich in sein Zimmer und mache Ordnung.

Mein elektrisches Bügeleisen hab ich mitgenommen. Wegen dem Schneemann wollte er sich die Jackettknöpfe abschneiden. Man muß kolossal auf ihn aufpassen. Die Frauen sind mächtig hinter Doktor Hagedorn her. Sie halten ihn für einen Thronfolger. Dabei ist er stellungslos und sagt, man könnte sich nicht in jede hübsche Frau verlieben. Das ginge zu weit.

Morgen lerne ich Skifahren. Privatim. Es brauchen nicht alle zu sehen, wenn ich lang hinschlage. Der Portier dachte erst, der Herr Geheimrat sei ein Hausierer. Das hat er davon.

Aber er findet so was ja nur komisch. Nun darf ich ihn wenigstens kennen und mit ihm sprechen. Ich bin sehr froh. Aber das schrieb ich schon einmal, wie ich gerade bemerke. Ich bin trotzdem sehr froh.

Wir waren in der Bar und haben einiges gehoben. Aber vom Sternhimmel sind wir dann wieder nüchtern geworden. Und vom Schneemann. Er steht vorm Hoteltor. Die Gäste werden morgen staunen.

Ich schreibe Ihnen bald wieder. Hoffentlich breche ich nichts Wesentliches. Skifahren ist ziemlich gefährlich. Wer soll sich um den Herrn Geheimrat kümmern, wenn ich bei irgendeinem Arzt in Gips liege! Na, ich werde schon aufpassen, daß ich ganz bleibe.

Hoffentlich geht es Ihnen gut, liebes Fräulein Hilde. Haben Sie keine Sorge um Ihren Vater. Auf mich können Sie sich verlassen. Das wissen Sie ja.

Grüßen Sie die Kunkel von mir. Und der Einfall mit dem Telefonieren sähe ihr ähnlich. Mehr habe ich ihr nicht zu sagen.

Von ganzem Herzen hochachtungsvoll und Ski Heil!

Ihr alter Johann Kesselhuth.«



Ïðîñìîòðîâ 767

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