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Das achtzehnte Kapitel - Zerstörte Illusionen



 

Am nächsten Morgen kurz nach acht Uhr klingelte es bei Frau Hagedorn in der Mommsenstraße. Die alte Dame öffnete.

Draußen stand der Lehrling vom Fleischermeister Kuchenbuch. Er war fast zwei Meter groß und wurde Karlchen genannt.

»Einen schönen Gruß vom Meister«, sagte Karlchen. »Und um zehn Uhr würde der Doktor Hagedorn aus den Alpen anrufen. Sie brauchten aber nicht zu erschrecken.«

»Da soll man nicht erschrecken?« fragte die alte Dame.

»Nein. Er hat uns gestern abend ein Telegramm geschickt, und wir sollten Sie, bitte, auf ein freudiges Ereignis vorbereiten.«

»Das sieht ihm ähnlich«, sagte die Mutter. »Ein freudiges Ereignis? Ha! Ich komme gleich hinunter. Moment mal, ich hole Ihnen einen Sechser. Für den Weg.«

Sie verschwand, brachte ein Fünfpfennigstück und gab es Karlchen. Er bedankte sich und rannte polternd treppab.

Punkt neun Uhr erschien Frau Hagedorn bei Kuchenbuchs im Laden.

»Karlchen hat natürlich wieder einmal Quatsch gemacht«, meinte die Frau des Fleischermeisters. »Sie kommen eine Stunde zu früh.«

»Ich weiß«, sagte Mutter Hagedorn; »Aber ich habe zu Hause keine Ruhe. Vielleicht telefoniert er früher. Ich werde Sie gar nicht stören.«

Frau Kuchenbuch lachte gutmütig. Von Stören könne keine Rede sein.

Dann gab sie der alten Dame die Depesche und lud sie zum Sitzen ein.

»Wie er sich hat!« meinte Frau Hagedorn gereizt. »Er tut ja gerade, als ob ich eine Zimttüte wäre. So schnell erschrecke ich nun wirklich nicht.«

»Was mag er nur wollen?« fragte die Meistersfrau.

»Ich bin schrecklich aufgeregt«, stellte die alte Dame fest.

Dann kamen Kunden, und sie mußte den Mund halten. Sie blickte jede Minute dreimal auf die Wanduhr, die über den Zervelat- und Salamiwürsten hing. Kalt war's im Laden. Und die Steinfliesen waren feucht. Draußen war Matschwetter.

Als kurz nach zehn Uhr das Telefon klingelte, war sie bereits völlig aufgelöst. Sie lief zittrig hinter den Ladentisch, schob sich am Hackblock vorbei, preßte den Hörer krampfhaft ans Ohr und sagte zu Frau Kuchenbuch:

»Hoffentlich verstehe ich ihn deutlich. Er ist so weit weg!« Dann schwieg sie und lauschte angespannt.

Plötzlich erstrahlte ihr Gesicht. Wie ein Festsaal, der eben noch im Dunkeln lag.

»Ja?« rief sie mit heller Stimme. »Hier Hagedorn! Fritz, bist du's? Hast du dir ein Bein gebrochen? Nein? Das ist recht. Oder einen Arm? Auch nicht? Da bin ich aber froh, mein Junge. Bist du bestimmt gesund? Wie? Was sagst du? Ich soll ruhig zuhören? Fritz, benimm dich. So spricht man nicht mit seiner Mutter. Nicht einmal telefonisch. Was gibt's?«

Sie schwieg ziemlich lange, hörte angespannt zu und tat unvermittelt einen kleinen Luftsprung.

»Junge, Junge! Mach keine Witze! Achthundert Mark im Monat? Hier in Berlin? Das ist aber schön. Stelle dir vor, du müßtest nach Königsberg oder Köln, und ich säße in der Mommsenstraße und finge Fliegen. Was soll ich mich? Sprich lauter, Fritz!

Es ist jemand im Laden. Ach so, festhalten soll ich mich!! Gern, mein Junge. Wozu denn? Was hast du dich? Du hast dich verlobt? Schreck, laß nach! Hildegard Schulze? Kenne ich nicht. Weshalb denn gleich verloben? Dazu muß man sich doch erst näher kennen. Widersprich nicht. Das weiß ich besser. Ich war schon verlobt, da warst du noch gar nicht auf der Welt. Wieso willst du das hoffen? Ach so!«

Sie lachte.

»Na, ich werde das Fräulein mal unter die Lupe nehmen. Wenn sie mir nicht gefällt, erlaube ich's nicht. Abwarten und Tee trinken. Tee trinken, habe ich gesagt. Lade sie zum Abendessen bei uns ein! Ist sie verwöhnt? Nein? Dein Glück! Was hast du abgeschickt? Zweihundert Mark? Ich brauche doch nichts. Also gut. Ich kaufe ein paar Oberhemden und was du sonst noch brauchst.

Müssen wir nicht aufhören, Fritz? Es wird sonst zu teuer. Was ich noch fragen wollte: Reicht die Wäsche? Habt ihr schönes Wetter? Dort taut es auch? Das ist aber schade. Und grüße das Mädchen von mir. Nicht vergessen! Und deinen Freund. Du, der heißt doch auch Schulze! Sie ist wohl seine Tochter? Gar nicht miteinander verwandt? Soso.«

Nun hörte die alte Dame wieder längere Zeit zu. Dann fuhr sie fort:

»Also, mein lieber Junge, auf frohes Wiedersehen! Bleib mir gesund! Komme nicht unter die Straßenbahn. Weiß ich ja. Es gibt gar keine in eurem Kuhdorf.« Sie lachte. »Mir geht's ausgezeichnet. Und vielen Dank für den Anruf. Das war sehr lieb von dir. Weißt du schon, ob du günstige Fahrverbindung zum Büro hast? Weißt du noch nicht? Aha. Wie heißt denn die Firma? Toblerwerke?

Die dir den Preis verliehen haben? Da wird sich aber Herr Franke freuen. Natürlich grüß ich ihn. Selbstverständlich. So, nun wollen wir hinhängen. Sonst kostet es das Doppelte. Auf Wiedersehen, mein Junge. Ja. Natürlich. Ja, ja. Ja! Auf Wiedersehen!«

»Das waren aber gute Nachrichten«, meinte Frau Kuchenbuch anerkennend.

»Achthundert Mark im Monat«, sagte die alte Dame. »Und vorher jahrelang keinen Pfennig!«

»Achthundert Mark und eine Braut!«

Frau Hagedorn nickte.

»Ein bißchen viel aufs Mal, wie? Aber dazu sind die Kinder ja schließlich da, daß sie später Eltern werden.«

»Und wir Großeltern.«

»Das wollen wir stark hoffen«, meinte die alte Dame. Sie musterte den Ladentisch.

»Geben Sie mir, bitte, ein Viertelpfund Hochrippe. Und ein paar Knochen extra. Und ein Achtel gekochten Schinken. Der Tag muß gefeiert werden.«

Fritz war früh auf der Bank gewesen und hatte den Scheck eingelöst. Dann hatte er im Postamt das Telefongespräch mit Berlin angemeldet und, während er auf die Verbindung wartete, für seine Mutter zweihundert Mark eingezahlt.

Jetzt, nach dem Gespräch, bummelte er guter Laune durch den kleinen altertümlichen Ort und machte Einkäufe. Das ist, wenn man jahrelang jeden Pfennig zehnmal hat umdrehen müssen, ein ergreifendes Vergnügen. Jahrelang hat man die Zähne zusammengebissen. Und nun das Glück wie der Blitz eingeschlagen hat, möchte man am liebsten heulen. Na, Schwamm drüber!

Für Herrn Kesselhuth, seinen Gönner, besorgte Doktor Hagedorn eine Kiste kostbarer Havannazigarren. Für Eduard kaufte er in einem kleinen Antiquitätengeschäft einen alten Zinnkrug.

Für Hilde erstand er ein seltsames traubenförmiges Ohrgehänge. Es war aus Jade, mattem Gold und Halbedelsteinen. Im Blumenladen bestellte er schließlich für Tante Julchen einen imposanten Strauß und bat die Verkäuferin, die Geschenke ins Hotel zu schicken.

Sich selber schenkte er nichts.

Anderthalb Stunden war er im Ort. Als er zurückkam, lag Kasimir, der unvergleichliche Schneemann, in den letzten Zügen. Der Konfitüreneimer, Kasimirs Helm, saß auf den Schultern. Augen, Nase, Mund und Schnurrbart waren dem geliebten Husaren auf die Heldenbrust gerutscht. Aber noch stand er aufrecht. Er starb im Stehen, wie es sich für einen Soldaten geziemt.

»Fahr wohl, teurer Kasimir!« sagte Hagedorn. »Ohne Kopf kann keiner aus dem Fenster gucken.« Dann betrat er das Grandhotel.

Hier war inzwischen mancherlei geschehen.

Das Unheil hatte harmloserweise damit begonnen, daß Geheimrat Tobler, seine Tochter, die Kunkel und Johann frühstückten.

Sie saßen im Verandasaal, aßen Brötchen und sprachen über das Tauwetter.

»Wenn wir einen Wagen mithätten«, sagte Hilde, »könnten wir nach München fahren.«

»Du darfst nicht vergessen, daß ich ein armer Mann bin«, meinte ihr Vater.

»Wir werden eine Stunde kegelschieben. Das beruhigt die Nerven. Wo steckt übrigens mein Schwiegersohn?«

»Auf der Bank und auf der Post«, berichtete Hilde. »Wie haben Sie geschlafen, Kunkel?«

»Miserabel«, sagte Tante Julchen. »Ich habe entsetzlich geträumt. Das hätten Sie aber auch nicht mit mir machen dürfen!«

»Was denn?« fragte Johann.

»Als Doktor Hagedorn erzählte, daß ihn die Toblerwerke engagiert hätten, ihn und den Herrn Schulze dazu, und der Hühnerknochen war so spitz, ich habe oben im Zimmer Tafelöl getrunken, es war abscheulich.«

»Wenn wir wieder einmal eine Überraschung für Sie haben«, sagte Johann, »kriegen Sie Haferflocken.«

»Das hat alles keinen Zweck«, erklärte der Geheimrat. »Dann verschluckt sie den Löffel.«

»Den Löffel legen wir vorher an die Kette«, meinte Hilde.

Frau Kunkel war wieder einmal gekränkt.

Aber viel Zeit blieb ihr nicht dazu. Denn der Portier und der Direktor Kühne traten feierlich in den Saal und näherten sich dem Tisch.

»Die beiden sehen wie Sekundanten aus, die eine Duellforderung überbringen«, behauptete der Geheimrat.

Johann konnte eben noch »Dicke Luft!« murmeln. Da machte Karl der Kühne schon seine Verbeugung und sagte:

»Herr Schulze, wir möchten Sie eine Minute sprechen.«

Schulze meinte: »Eine Minute? Meinetwegen.«

»Wir erwarten Sie nebenan im Schreibzimmer«, erklärte der Portier.

»Da können Sie lange warten«, behauptete Schulze.

Hilde sah auf ihre Armbanduhr.

»Die Minute ist gleich um.«

Herr Kühne und Onkel Polter wechselten Blicke. Dann gestand der Direktor, daß es sich um eine delikate Angelegenheit handle.

»Das trifft sich großartig«, sagte Tante Julchen. »Für so etwas schwärme ich. Hildegard, halte dir die Ohren zu!«

»Wie Sie wünschen«, meinte der Direktor. »Ich wollte Herrn Schulze die Gegenwart von Zeugen ersparen. Kurz und gut, die Hotelbetriebsgesellschaft, deren hiesiger Direktor ich bin, ersucht Sie, unser Haus zu verlassen. Einige unserer Stammgäste haben Anstoß genommen.

Seit gestern haben sich die Beschwerden gehäuft. Ein Gast, der begreiflicherweise nicht genannt sein will, hat eine beträchtliche Summe ausgeworfen. Wieviel war es?«

»Zweihundert Mark«, sagte Onkel Polter gütig.

»Diese zweihundert Mark«, meinte der Direktor, »werden Ihnen ausgehändigt, sobald Sie das Feld räumen. Ich nehme an, daß Ihnen das Geld nicht ungelegen kommt.«

»Warum wirft man mich eigentlich hinaus?« fragte Schulze.

Er war um einen Schein blässer geworden. Das Erlebnis ging ihm nahe.

»Von Hinauswerfen kann keine Rede sein«, sagte Herr Kühne.»Wir ersuchen Sie, wir bitten Sie, wenn Sie so wollen. Uns liegt daran, die anderen Gäste zufriedenzustellen.«

»Ich bin ein Schandfleck, wie?« fragte Schulze.

»Ein Mißton«, erwiderte der Portier.

Geheimrat Tobler, einer der reichsten Männer Europas, meinte ergriffen:

»Armut ist also doch eine Schande.«

Aber Onkel Polter zerstörte die Illusion.

»Sie verstehen das Ganze falsch«, erklärte er. »Wenn ein Millionär mit drei Schrankkoffern ins Armenhaus zöge und dort dauernd im Frack herumliefe, wäre Reichtum eine Schande! Es kommt auf den Standpunkt an.«

»Alles zu seiner Zeit und am rechten Ort«, behauptete Herr Kühne.

»Und Sie sind nicht am rechten Ort«, sagte Onkel Polter.

Da erhob sich Tante Julchen, trat dicht an Onkel Polter heran, wedelte unmißverständlich mit der rechten Hand und meinte:

»Machen Sie, daß Sie fortkommen, sonst knallt's!«

»Lassen Sie den Portier in Ruhe!« befahl Schulze. Er stand auf. »Also gut. Ich reise. Herr Kesselhuth, würden Sie die Güte haben und ein Leihauto bestellen? In zwanzig Minuten fahre ich.«

»Ich komme natürlich mit«, sagte Herr Kesselhuth. »Portier, meine Rechnung. Aber ein bißchen plötzlich!« Er verschwand im Laufschritt.

»Mein Herr!« rief der Direktor hinterher. »Warum wollen Sie uns denn verlassen?«

Tante Julchen lachte böse. »Sie sind ja wirklich das Dümmste, was 'raus ist! Hoffentlich hebt sich das mit der Zeit. Für meine Nichte und mich die Rechnung! Aber ein bißchen plötzlich!« Sie rauschte davon und stolperte über die Schwelle.

Der Direktor murmelte: »Einfach tierisch!«

»Wo sind die zweihundert Mark?« fragte Herr Schulze streng.

»Sofort«, murmelte der Portier, holte die Brieftasche heraus und legte zwei Scheine auf den Tisch.

Schulze nahm das Geld, winkte dem Ober, der an der Tür stand, und gab ihm die zweihundert Mark.

»Die Hälfte davon bekommt der Sepp, mit dem ich die Eisbahn gekehrt habe«, sagte er. »Werden Sie das nicht vergessen?«

Der Kellner hatte die Sprache verloren. Er schüttelte nur den Kopf.

»Dann ist's gut«, meinte Schulze. Er sah den Direktor und den Portier kalt an. »Entfernen Sie sich!«

Die beiden folgten wie die Schulkinder. Geheimrat Tobler und Hilde waren allein.

»Und was wird mit Fritz?« fragte Fräulein Tobler.

Ihr Vater blickte den entschwindenden Gestalten nach. Er sagte:

»Morgen kaufe ich das Hotel. Übermorgen fliegen die beiden hinaus.«

»Und was wird mit Fritz?« fragte Hilde weinerlich.

»Das erledigen wir in Berlin«, erklärte der Geheimrat. »Glaub mir, es ist die beste Lösung. Sollen wir ihm in dieser unmöglichen Situation erzählen, wer wir eigentlich sind?«

Zwanzig Minuten später fuhr eine große Limousine vor. Sie gehörte dem Lechner Leopold, einem Fuhrhalter aus Bruckbeuren, und er saß persönlich am Steuer. Die Hausdiener brachten aus dem Nebeneingang des Hotels mehrere Koffer und schnallten sie auf dem Klapprost des Wagens fest.

Der Direktor und der Portier standen vor dem Portal und waren sich nicht im klaren.

»Einfach tierisch«, sagte Herr Kühne. »Der Mann schmeißt zweihundert Mark zum Fenster hinaus. Er läßt seine Freifahrkarte verfallen und fährt im Auto nach München. Drei Gäste, die er erst seit ein paar Tagen kennt, schließen sich an. Ich fürchte, wir haben uns da eine sehr heiße Suppe eingebrockt.«

»Und das alles wegen dieser mannstollen Casparius!« meinte Onkel Polter. »Sie will den Schulze doch nur forthaben, damit sie besser an den kleinen Millionär herankann.«

»Ja, warum haben Sie mir denn das nicht früher mitgeteilt?« fragte Karl der Kühne empört.

Der Portier dachte an die dreihundert Mark, die er bei der Transaktion eingesteckt hatte, und steckte den Vorwurf dazu.

Dann kamen Tante Julchen und ihre Nichte. Sie waren mit Hutschachteln, Schirmen und Taschen beladen. Der Direktor wollte ihnen beispringen.

»Lassen Sie die Finger davon!« befahl die Tante. »Ich war nur zwei Tage hier. Aber mir hat's genügt. Ich werde Sie, wo ich kann, weiterempfehlen.«

»Ich bin untröstlich«, erklärte Herr Kühne.

»Mein Beileid«, sagte die Tante.

Der Portier fragte: »Meine Damen, warum verlassen Sie uns denn so plötzlich?«

»Er kommt aus dem Mustopf«, meinte Tante Julchen.

»Hier ist ein Brief für Doktor Hagedorn«, sagte Hilde.

Onkel Polter nahm ihn ehrfürchtig in Empfang. Das junge Mädchen wandte sich an den Direktor.

»Ehe ich's vergesse: wir haben vor sechs Tagen miteinander telefoniert.«

»Nicht daß ich wüßte, gnädiges Fräulein!«

»Ich bereitete Sie damals auf einen verkleideten Millionär vor.«

»Sie waren das?« fragte der Portier. »Und jetzt lassen Sie Herrn Doktor Hagedorn allein?«

»Wie kann ein einzelner Mensch nur so dämlich sein!« meinte Tante Julchen und schüttelte das Haupt.

Hilde sagte: »Tantchen, jetzt keine Fachsimpeleien! Guten Tag, die Herren. Ich glaube, Sie werden lange an den Fehler denken, den Sie heute gemacht haben.«

Die beiden Damen stiegen in Lechners Limousine.

Bald darnach erschienen Schulze und Kesselhuth. Schulze legte einen Brief für Fritz auf den Portiertisch.

Der Direktor und Onkel Polter verbeugten sich. Sie wurden aber übersehen. Das Auto füllte sich. Johann hielt die elektrische Heizsonne auf dem Schoß. Die Koffer waren voll gewesen.

Der Lechner Leopold wollte schon anfahren, als Sepp, der Skihallenhüter, angaloppiert kam. Er gab gutturale Laute der Rührung von sich, ergriff Schulzes Hand und schien entschlossen, sie abreißen zu wollen.

»Schon gut, Sepp«, sagte Schulze. »Es ist gern geschehen. Sie waren beim Eisbahnkehren sehr nett zu mir.«

Kesselhuth zeigte auf die kläglichen Reste des getauten Schneemanns.

»Der schöne Kasimir ist hin.«

Schulze lächelte. Er entsann sich jener gestirnten Nacht, in der Kasimir zur Welt gekommen war.

»Schön war's doch«, murmelte er.

Dann fuhr der Wagen davon. Die Schneepfützen spritzten.

Als Hagedorn ins Hotel zurückkam, übergab ihm der Portier zwei Briefe.

»Nanu«, sagte Fritz, setzte sich in die Halle und riß die Kuverts auf.

Das erste Schreiben lautete: »Mein lieber Junge! Ich muß, unerwartet und sofort, nach Berlin zurück. Es tut mir sehr leid. Auf baldiges Wiedersehen. Herzliche Grüße Dein Freund Eduard.«

Auf dem zweiten Briefbogen stand: »Mein Liebling! Wenn Du diese Zeilen liest, ist Dein Fräulein Braut durchgegangen. Sie wird es bestimmt nicht wieder tun. Sobald Du sie gefunden hast, darfst Du sie so lange an den Ohren ziehen, bis diese rechtwinkling abstehen. Vielleicht ist es kleidsam.

Komme, bitte, bald nach Berlin, wo nicht nur meine Ohren auf Dich warten, sondern auch der Mund Deiner zukünftigen Gattin Hilde Hagedorn.«

Fritz stieß einen gräßlichen Fluch aus und rannte zum Portier hinüber.

»Was soll das denn bedeuten?« fragte er fassungslos. »Schulze ist abgereist! Meine Braut ist abgereist! Und Tante Julchen?«

»Abgereist«, sagte der Portier.

»Und Herr Kesselhuth?«

»Abgereist«, flüsterte der Portier.

Hagedorn musterte das Armesündergesicht Onkel Polters.

»Hier stimmt doch etwas nicht! Warum sind die vier fort? Erzählen Sie mir jetzt keine Märchen! Sonst könnte ich heftig werden!«

Der Portier sagte: »Warum die beiden Damen und Herr Kesselhuth fort sind, weiß ich nicht.«

»Und Herr Schulze?«

»Einige Gäste haben sich beschwert. Herr Schulze störe die Harmonie. Die Direktion bat ihn, abzureisen. Er trug der Bitte sofort Rechnung. Daß zu guter Letzt vier Personen abfuhren, hatten wir nicht erwartet.«

»Nur vier?« fragte Doktor Hagedorn. Er trat vor den Fahrplan, der an der Wand hing. »Ich fahre natürlich auch. In einer Stunde geht mein Zug.« Er rannte zur Treppe.

Der Portier war dem Zusammenbrechen nahe. Er schleppte sich ins Büro, sank dort in einen Stuhl und meldete Karl dem Kühnen das neueste Unglück.

»Hagedorns Abreise muß verhindert werden!« behauptete der Direktor. »So ein verstimmter Millionär kann uns derartig in Verruf bringen, daß wir in der nächsten Saison die Bude zumachen können.«

Sie stiegen ins erste Stockwerk und klopften am Appartement 7. Aber Hagedorn antwortete nicht. Herr Kühne drückte auf die Klinke. Die Tür war abgeriegelt. Sie hörten es bis auf den Korridor hinaus, wie im Zimmer Schubkästen aufgezogen und Schranktüren zugeknallt wurden.

»Er packt sehr laut«, sagte der Portier beklommen. Sie gingen traurig in die Halle hinunter und warteten, daß der junge Mann erschiene.

Er erschien.

»Den Koffer bringt der Hausdiener zur Bahn. Ich gehe zu Fuß.«

Die beiden liefen neben ihm her.

»Herr Doktor«, flehte Karl der Kühne, »das dürfen Sie uns nicht antun.«

»Strengen Sie sich nicht unnötig an!« sagte Hagedorn.

An der Tür stieß er mit der Verkäuferin aus dem Blumenladen zusammen. Sie brachte die Geschenke, die er vor knapp zwei Stunden eingekauft hatte.

»Ich habe mich etwas verspätet«, meinte sie.

»Ein wahres Wort«, sagte er.

»Der Strauß ist dafür besonders schön geworden«, versicherte sie.

Er lachte ärgerlich.

»Das Bukett können Sie sich ins Knopfloch stecken! Behalten Sie das Gemüse!«

Sie staunte, knickste und entfernte sich eilends.

Nun stand Fritz, mit einem Zinnkrug, einer Kiste Zigarren und einem originellen Ohrgehänge, allein in Bruckbeuren!

Der Direktor fragte: »Dürfen wir Sie wenigstens bitten, in Ihren Kreisen über den höchst bedauerlichen Zwischenfall zu schweigen?«

»Der Ruf unseres Hotels steht auf dem Spiele«, bemerkte Onkel Polter ergänzend.

»In meinen Kreisen?« meinte Hagedorn verwundert. Dann lachte er. »Ach richtig! Ich bin Ihnen noch eine Erklärung schuldig! Sie halten mich ja für einen Millionär, nicht wahr? Damit ist es allerdings Essig. Vor meinen Kreisen ist Bruckbeuren zeitlebens sicher. Ich war bis gestern arbeitslos. Da staunen Sie! Irgend jemand hat Sie zum Narren gehalten. Guten Tag, meine Herren!«

Das Portal schloß sich hinter ihm.

»Er ist gar kein Millionär? fragte der Direktor heiser. »Glück muß der Mensch haben, Polter! Menschenskind, das junge Mädchen hat uns verkohlt? Gott sei Dank! Wir waren bloß die Dummen? Einfach tierisch!«

Der Portier winkte aufgeregt ab. Plötzlich schlug er sich vor die Stirn. Es sah aus, als wolle er einen Ochsen töten.

»Grauenhaft! Grauenhaft!« rief er. »Das beste ist, wir bringen uns um!«

»Gern«, erklärte der Direktor, noch immer obenauf. »Aber wozu, bittschön? Es sind einige Gäste vor der Zeit weggefahren. Und? Ein junges Mädchen hat uns auf den Besen geladen. Das kann ich verschmerzen.«

»Die Geschichte bricht uns das Genick«, sagte der Portier. »Wir waren komplette Idioten!«

»Na, na«, machte Karl der Kühne. »Sie tun mir unrecht.«

Onkel Polter erhob lehrhaft den Zeigefinger.

»Hagedorn war kein Millionär. Aber das junge Mädchen hat nicht gelogen. Es war ein verkleideter Millionär hier! Oh, das ist furchtbar! Wir sind erschossen.«

»Nun wird mir's zu bunt!« rief der Direktor nervös. »Drücken Sie sich endlich deutlicher aus!«

»Der verkleidete Millionär wurde von uns vor einer Stunde hinausgeworfen«, sagte der Portier mit Grabesstimme.

»Er hieß Schulze!«

Herr Kühne schwieg.

Der Portier verfiel zusehends. »Und diesen Mann habe ich die Eisbahn kehren lassen! Mit dem Rucksack mußte er ins Dorf hinunter, weil das Kind der Botenfrau die Masern hatte! Der Heltai hat ihn auf die Bockleiter geschickt! Oh!«

»Einfach tierisch!« murmelte der Hoteldirektor. »Ich muß mich legen, sonst trifft mich der Schlag im Stehen.«

Am Nachmittag wurde der bettlägerige Herr Kühne von einem Boy gestört.

»Eine Empfehlung vom Herrn Portier«, sagte der Junge. »Ich soll Ihnen mitteilen, daß Frau Casparius mit dem Abendzug fährt.«

Der Direktor stöhnte weidwund.

»Sie käme nie wieder nach Bruckbeuren, läßt der Portier sagen. Ach so, und Herr Lenz aus Köln reist auch.«

Der Direktor drehte sich ächzend um und biß knirschend ins Kopfkissen.

 



Ïðîñìîòðîâ 595

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